Foto: Maan Barua, An Amphibious Urbanism, 2023-2024.
Mai 17 – Juni 30, 2019
Membrane Ausstellung: »Gebrochene Blickrichtungen«
Eröffnung am 16. Mai um 19 Uhr
Eröffnung am 16. Mai um 19 Uhr
Die Ausstellung der Akademie Schloss Solitude findet parallel zum MEMBRANE Festival statt und präsentiert fünf künstlerische Positionen aus dem internationalen Netzwerk der Akademie. In unterschiedlichen Herangehensweisen und künstlerischen Formaten werden Versuche sichtbar, die Grenzen der Erkennbarkeit in Frage zu stellen.
Eine Membran ist in der Biologie ein lichtdurchlässiges Gewebe, das Zellströmen erlaubt, in einen Organismus einzudringen. In der aktuellen Ausstellung stehen Membrane für die Durchlässigkeit von Wissen und Denken, für die Veränderung des Blickwinkels und die Neubewertung historischen Erbes – Durchlässigkeit wird hier verstanden als Voraussetzung für Wandel und für das Nachdenken über Geschichte und Gegenwart, damit bestehende Weltanschauungen infrage gestellt und die Neuausrichtung und Neuformulierung von Wissenshierarchien möglich gemacht werden.
Die Ausstellung benutzt das Bild der Membran, um künstlerische Positionen zu präsentieren, die vorherrschende Sichtweisen und Narrative hinterfragen. Dabei steht die Dringlichkeit, Denken, Sprache, Klang und Wahrnehmung zu dekolonisieren im Vordergrund der künstlerischen Praxis. In ihren Arbeiten untersuchen die Künstler*innen die Subjektivität und körperliche Repräsentationen und finden Wege, mit überkommenen Wirklichkeitsvorstellungen zu brechen. Sie ermöglichen ein breiteres Bewusstsein, eines, das die Verschiedenartigkeit der Welten berücksichtigt und das Entstehen einer umfassenden Art des Lernens und des Umgangs mit der Zukunft fördert.
JANINE JEMBERE & NICOLE SUZUKI sowie LUIZA PRADO DE O. MARTINS befassen sich in Installationen und digitalen Projekten mit dem Verhältnis von Macht, Schreiben und Verschleierung sowie Theorien zu Dekolonialität und Gender. Die Arbeiten werden ergänzt mit einer Soundinstallation von LAMIN FOFANA, Gast des Membrane Festivals, und Bearbeitungen von deutschen Fotoarchiven aus der Kolonialzeit der namibischen Künstlerin VITJITUA NDJIHARINE.
Lamin Fofana
Fugitive Dreams (Flüchtige Träume)
Sound Installation, 2019
Lamin Fofana ist Künstler und Produzent elektronischer Musik. Er lebt in Berlin, stammt aus Sierra Leone und hat in Guinea und den USA gelebt. Mit seiner elektronischen Instrumentalmusik widersetzt er sich der Wirklichkeit unserer Welt und weist über sie hinaus. Er erkundet Fragen zu Themen der Mobilität und Migration, Entfremdung und Zugehörigkeit.
The West is an insane asylum, a conscious and premeditated receptacle of black magic.
– Fred Moten
Wie ergeht es schwarzen Menschen im Westen? Wenn sich ihre afrikanische Ästhetik nur in Zwischenräumen, Grenzzonen und der Peripherie des Normativen zeigen kann. Sie sind sich selbst grundlegend entfremdet, in sozialer und politischer Hinsicht, während sie gleichzeitig umringt werden von einer ästhetischen Hyper-Exotisierung: Ihre ansonsten unterbewerteten Körper finden sie in den Medien und auf Reklametafeln für große Produktkampagnen wieder – Nike, iPhone – wo leblosen und mondänen Objekten Leben eingehaucht werden soll, um den Kapitalfluss in Gang zu setzen.
Die Philosophinnen Sylvia Wynter und Hortense Spillers publizierten in der zweiten Hälfte des 20. und im 21. Jahrhundert Werke, die auf die paradoxe Situation des schwarzen Menschen in der westlichen Welt eingehen. Fugitive Dreams ist der Versuch des Künstlers, einige dieser Ideen – die ihn zutiefst inspirieren und seine eigene Erfahrung widerspiegeln – mit dem affektiven Medium Klang zu interpretieren.
Janine Jembere
Nicole Suzuki
The Text Is Text-ile & Of Sounds and Something Else (Der Text ist Text-il &
Von Klängen und etwas Anderem)
Verschiedene Medien, 2018
Die Videokünstlerin Janine Jembere entwickelt in wechselnden Konstellationen Video- und Klangprojekte sowie pädagogische Konzepte. Ihre performativen Arbeiten kreisen um die Themen Sinnlichkeit und Körper. Dabei hinterfragt sie vor allem gängige Betrachtungsweisen von Repräsentation und Übersetzbarkeit, von Ableismus, Race und Gender. Ihr Interesse gilt dabei den Resonanzen des verkörperten Wissens, den sinnlichen Hierarchien sowie dem Konzept der Dissonanz als Mittel, Verschiedenartigkeit zu denken und zu leben.
Nicole Suzuki ist Künstlerin, Politikwissenschaftlerin, Dozentin sowie PhD-in-Practice- Kandidatin an der Akademie der bildenden Künste Wien. Darüber hinaus leitet sie den Verlag Zaglossus. Sie arbeitet in verschiedenen Medien zu Fragen der Wissensproduktion, wobei sie ihre Arbeit stets in einen Dialog mit postkolonialer sowie queer-of-color-Kritik treten lässt.
Papier ist leicht und ein wirkmächtiges Werkzeug der Wissenserzeugung und der Wissenstilgung, der Machtreproduktion und -festigung. Einige Formen des Schreibens, des Lesens, des Kodierens und Verbergens werden hier sichtbar gemacht. Die Ausstellung lädt dazu ein, sich von der Annahme des leeren Blattes als neutralem Raum zu lösen. Ausgehend von Papier und Schrift (wie in der Geschichtsschreibung) und inspiriert von der japanischen Kunst des Shifu, einem Song des amerikanischen Jazzmusikers Sun Ra, der Kunstform des asemic-writing sowie alten Bildschirmschonern zielen die Arbeiten darauf ab, die Möglichkeiten eines materiellen, emotionalen und ungehorsamen Lesens und Schreibens aufzuzeigen.
Vitjitua Ndjiharine
Ikonowand/Gespiegelte Realität
Digitaler Druck und Spiegelfolie auf Forex, 2018
Die bildende Künstlerin Vitjitua Ndjiharine arbeitet multidisziplinär mit unterschiedlichen Medien.
Sie entwickelt Strategien, um die pädagogische Wirkung von Texten und Bildern kolonialer Archive zu dekonstruieren und in einen neuen Kontext zu stellen. Die Zeichnungen, Gemälde, Kollagen und Installationen regen zur kritischen Auseinandersetzung mit umstrittenen historischen Themen an.
Kolonialfotografien gelten als wichtige Informationsquellen zur deutschen Kolonialzeit in Namibia. Sie ermöglichten damals schon dem Publikum, sich das Leben an diesem fremden Ort vorzustellen. Die Fotografien erzeugen jedoch ein verzerrtes Bild des kolonisierten Namibias und geben wenig Aufschluss über die Erfahrungswelt der abgebildeten Menschen. Stattdessen veranschaulichen sie die Weltbilder der Forscher, Fotografen, »Entdecker«, Sammler und Historiker der Zeit, durch die heutige Gesellschaften nachhaltig geprägt sind.
Nach ihrem Eingang im Museum wurden fotografische Abzüge auf sogenannten Ikonokatalogkarten inventarisiert, und Informationen zu Zeit, Ort, Gegenstand und Herkunft des Bildes eingetragen. Die herabsetzenden Zuschreibungen, die zur Kategorisierung der abgebildeten Menschen verwendet wurden, spiegeln eine koloniale Wissensordnung wider. Indem die Künstlerin die schwarzen Subjekte aus den Bildern entfernt, entzieht sie sie den kolonialen und ethnografischen Blickregimen. Die an ihrer Stelle eingearbeitete Spiegelfolie wirft die Betrachter*innen und ihre Blicke auf sich selbst zurück.
Ikonowand/Gespiegelte Realität wurde im Rahmen eines Forschungsstipendiums der Gerda Henkel Stiftung in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle »Hamburgs (post-)koloniales Erbe« der Universität Hamburg erstellt.
Luiza Prado de O. Martins
All Directions at Once (Alle Richtungen auf einmal)
Video, Plakate, 2018
Luiza Prado de O. Martins‘ Arbeit betrachtet die materielle und visuelle Kultur durch die Linse dekolonialer sowie queerer Theorien. In ihrer Dissertation untersuchte Prado de O. Martins Technologien und Praktiken der Geburtenkontrolle sowie deren Verstrickungen mit der kolonialen Hierarchisierung von Geschlechterrollen, Abstammung, Ethnizität, Klasse und Nationalität. Dabei entwickelte sie die Idee der »Techno-Ökologien für Geburtenkontrolle« als Rahmenstruktur, um biopolitische Debatten, die rund um die Geburtskontrollpraktiken entstanden, zu beobachten und auf sie einzuwirken.
Der innerhalb der Ausstellung gezeigte GIF-Essay, der Teil eines größeren Werks mit dem Titel A Topography of Excesses [Eine Topografie von Exzessen] ist, beschäftigt sich mit den Praktiken der Geburtenkontrolle durch pflanzliche Mittel sowie mit der Überlieferung indigenen und volkstümlichen Wissens als Akt der radikalen Befreiung aus kolonialen Strukturen.
Durch Geschichten über ayoowiri sowie andere kontrazeptiv und abtreibend wirkende Pflanzen nährt der Essay die Idee einer radikalen Selbstbestimmtheit und enthüllt die poetischen Dimensionen des Überflusses als eines fragmentierten, schnelllebigen Pluriversums, das verschiedene Sichtweisen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinandergreifen lässt; ein loses Gefüge, das sich in alle Richtungen auf einmal bewegt.
Der GIF-Essay ermöglicht so eine Umdeutung der Geschichte der Geburtenkontrolle und präsentiert die Narrative damit weniger als Teil eines linearen und universellen Kontinuums, sondern vielmehr als Teil eines fragmentierten, schnelllebigen Pluriversums, das als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig Wahrgenommenes ineinandergreifen lässt. Die Bilderstrecke soll dabei als ein einheitliches Werk präsentiert und visualisiert werden, auf einem Blatt. Jedes Bild ist eine Endlosschleife; ein loses Gefüge, das sich in alle Richtungen auf einmal bewegt.
Am 18. Mai um 16.30 Uhr spricht Vitjitua Ndjiharine über ihre künstlerische Arbeit und während des Membrane Festivals finden am 23. und am 26. Mai, jeweils um 15 Uhr Führungen durch die Ausstellung statt.
ERÖFFNUNG: 16. Mai 2019, 19 Uhr
AUSSTELLUNGSDAUER: 17. Mai–30. Juni 2019
ÖFFNUNGSZEITEN: Do 17–19 Uhr, Sa/So 14–18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung
0711 996 19 474. Während des Festivals 23.–26. Mai: 14–18 Uhr
Führungen während des Festivals: 23. und 26. Mai: 15 Uhr
KÜNSTLERGESPRÄCH mit Vitjitua Ndjiharine: 18. Mai, 16.30 Uhr
an Veranstaltung(en) beteiligt
Foto: Maan Barua, An Amphibious Urbanism, 2023-2024.
Ausschnitt aus Google Earth
Zeichnung: Deepika Arwind