März 17, 2020

ONLINE: Arbeiten der Ausstellung »Our Loves Are Not Only Human«

»Our Loves Are Not Only Human« ist ONLINE verfügbar

Aufgrund der aktuellen Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland mussten und wollten wir die Ausstellung »Our Loves Are Not Only Human«, die seit dem 20. Februar 2020 im Projektraum Römerstraße 2A in Stuttgart zu sehen war, frühzeitig beenden. Die Ausstellung widmete sich ausgewählten digitalen Projekten, die in den letzten zwei Jahren im Rahmen der Web Residencies by Solitude & ZKM produziert worden sind. Erstmals seit der Entstehung des Programms wurden unterschiedliche Arbeiten von Web Residents aus ihrer Onlinepräsenz in eine Offline-Ausstellung überführt. Passend zur aktuellen Situation, befassen sich die Arbeiten der Web Residents mit dem Thema kollektive Fürsorge und Verantwortung in der Gesellschaft. Sie zeigen die Notwendigkeit auf, alternative Narrative und Handlungsweisen zu entwickeln.

Sollten Sie die Ausstellung verpasst haben, können Sie sich die Online-Arbeiten auch von Zuhause aus ansehen. Untenstehend finden Sie die jeweiligen Links zu den einzelnen Projekten, Interviews mit den Künstler*innen sowie weitere Hintergrundinformationen zu den Arbeiten.

Die teilnehmenden Künstler*innen Johanna Bruckner, Gary Zhexi Zhang & Agnes Cameron, Umber Majeed und Tiare Ribeaux inszenieren eine spekulative Zukunft, in der sowohl menschliche wie auch die Bedürfnisse nicht-menschlicher Welten berücksichtigt werden.

Visual Ausstellung Our Loves Are Not Only Human,

Visual Ausstellung Our Loves Are Not Only Human, Design: Stegmeyer Fischer Creative Studio, mit einem Motiv von Johanna Bruckner

Web Resident »Engineering Care«
Johanna Bruckner

»TECHNO-SEX Bots: Molecular Sex, Synthetic Love and Quantum Bodies«
2020, 4K Video, 18 min.

Die Zukunft wird oft als Zusammenbruch des Menschlichen geschildert. Demgegenüber betrachtet Johanna Bruckner die Hybridisierung von Menschlichem und Nichtmenschlichem als Keim einer Unbestimmtheit und generellen Grenzüberschreitung des Seins. Ihre Videoinstallation entwirft eine von Molekularisierung und Vernetzung geprägte Welt der Verstrickungen zwischen Mensch, Tier, Technologie, Sex und Atmosphäre. Die fluiden Hauptfiguren, fiktive Sex-Bots, führen Plastik als chemische Substanz zum Manipulieren biologischen Lebens vor. Sie entstellen dabei in Darbietungen als Schlangenstern (ein Meerestier) oder als nanotechnische Wesen nicht nur den Liebesakt, sondern das Geschlecht gleich dazu. Mittels technischer Prothesen verändert Bruckner die Wahrnehmungsbezüge und -muster, anhand derer Subjekte die Welt verstehen, und erweitert so zugleich die Grenzen des Wahrnehmungsapparates.

Zum Projekt und zum Interview

 

Web Resident »Refiguring the Feminist Future«
Umber Majeed

»In the Name of Hypersurface of the Present«
2018, Vinyl Collage, Digitaldrucke auf metallischem Papier und mehrteilige Animation

»In The Name of Hypersurface of the Present« ist eine Animation und spekulative Fiktion über eine feministische Historisierung von Pakistan als erster »muslimischer Atomstaat«. Das Drehbuch basiert auf Staats- und Familienarchiven und erzählt die kanonische, patriarchalische Staatsstruktur durch einen fiktiven, populistischen, zeitgenössischen Urdu-Dichter; Die Erzählung kehrt die »Im Namen Gottes«-Rhetorik um, mit der ursprünglich das pakistanische Atomprojekt vorangetrieben wurde. Die Forschungsmaterialien sind eine Erweiterung der Animations-Serie »The Atomically Explosive Love«.

Die Erzählung schlägt einen phallischen grünen Kegel als Ersatzfigur für das kürzlich zerstörte staatliche Monument Chaghi Monument Hill vor. Sowohl konzeptionell als auch strukturell fungiert das Video als Gebrauchsanweisung für Bürger*innen, die vom Chaghi Monument Hill vertrieben wurden. Der Ort wird für die von Männern dominierte Feierlichkeit »Youm e Takbeer« genutzt, einem Nationalfeiertag, der an die Atomtests in den 1990er Jahren erinnert. Die Erzählung und die Choreografie des Videos zeigen die Inhärenz des phallisch grünen Lichtkegels und wie die Kegel in Auge und Ohr, die reproduktiven Kegel (innerhalb der Pflanzenwelt), die Kegel im digitalen Raum (Projektionsmodi) und innerhalb der theoretischen Physik aktiviert werden können, um die Messung von Zeit und Raum neu zu konfigurieren. Grünes Licht verkörpert eine Form von Spiritualität, die durch den pakistanischen Nationalismus, den islamischen Orientalismus, populistische Green-Screen-Schnittstellen und die Lichttherapie verewigt und verbreitet wird.

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Web Residents »Rigged Systems«
Gary Zhezi Zhang & Agnes Cameron

»Permacultural Network«
2019–fortlaufend, webbasierte Simulation, Reader, Forschungsmaterialien

»Permaculture Network« ist eine ökologische Simulation, die sich ein Ökosystem vorstellt, das aus  Gesprächen zwischen nicht-menschlichen Wesen besteht. Es bedient sich dabei einer Kombination aus Live-Wetterdaten, traditioneller Folklore und einer agro-ökologischen Untersuchung, um eine sich verändernde generative Landschaft von Sakiya zu entwickeln. Sakiya ist eine Institution für Kunst und Agrikultur in Palästina. Ausgehend von Donna Haraways Vorstellung von Teilperspektiven und Situationskenntnissen bilden sich artenübergreifende Dialoge zwischen Pflanzen, Tieren, natürlichen Merkmalen und geologischen Substraten auf dem Gelände, die durch ASCII-Zeichen dargestellt werden.

Während sich Gesprächsnetze entwickeln, bilden sich Bande der Zuneigung zwischen verwandten Pflanzen innerhalb der Permakultur. Manchmal erblühen sie in Symbiose, manchmal werden sie von Ziegenherden und anderen Grasfressern geplagt. Ein agentenbasiertes Simulationsmodell ermöglicht, diese intimen Erzählungen über ökologische Pflege und Korrespondenz auf komplexe und überraschende Weise zu entwickeln.

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Web Resident »Planetary Glitch«
Tiare Ribeaux

»Bioplastics Cookbook for Ritual Healing«
2019–fortlaufend, webbasiertes Kochbuch, Bioplastikskulpturen

Die Arbeit »Bioplastics Cookbook for Ritual Healing from Petrochemical Landscapes « präsentiert Materialien und Methoden zur grundlegenden Neugestaltung der historisch dominanten Gewinnung petrochemischer Kunststoffe, die wir in unserem täglichen Leben verwenden. Dieses Online-DIY-Rezept- und Geschichtenbuch stellt Methoden für die Rückgewinnung, den Wiederaufbau und die Heilung der  zerstörerischen Prozessen des Techno-Kapitalismus vor: Erneuerbare biologische Materialien werden verwendet und alternative Prozesse offengelegt, gleichzeitig wird eine kollektive Veränderung unserer materiellen Beziehungen angestoßen. Das Projekt wurde insbesondere beeinflusst durch »The 3D Additivist Cookbook« von Morehshin Allahyari und Daniel Rourke sowie Allahyaris Konzept des »Re-figuring« als dekoloniale Praxis.

Das Online-Buch katalogisiert DIY-Protokolle zur Herstellung von Biokunststoffen und Materialien aus Agar-Agar, Stärke, Glyzerin, natürlichen Pigmenten und Lebensmittelabfällen, die Zuhause oder in Guerillaküchen produziert werden können. Diese Rezepte und ihre Ergebnisse sind online als Text, Fotografie und Video dokumentiert. Darüber hinaus verwebt das »Bioplastics Cookbook for Ritual Healing from Petrochemical Landscapes « Geschichten und Bilder über Materialien und Mythologien wie z. B. die Verstrickungen von »Plastiglomerate« und der hawaiianischen Vulkangöttin Pele sowie nichtmenschlichen Spezies wie Larven, die aus unseren Ozeanen Mikroplastik filtern.

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